Brauchtumsgruppe „Rehauer Holzköpf“
„Rehauer Holzköpf“
Allgemein gehen wir davon aus, dass jedes Brauchtum schon sehr alt ist und immer da war. Das ist so aber gar nicht der Fall. Wenn wir uns Brauchtum in der Fastnacht ansehen, dann ist vieles noch recht jung und erst im 19ten oder 20ten Jahrhundert aufgekommen und etabliert worden. Brauchtum baut zwar oft auf historischen Wurzeln auf, aber es entwickelt sich immer wieder aufs Neue. Es wird interpretiert, es wird belebt und gelebt. Dabei ist Brauchtum immer auch ein Stück Identität und Heimat.
So auch die Holzmaskengruppe der FastNachtsFreunde des TV Rehau: Die „Rehauer Holzköpf“ bestehend aus weiblichen und männlichen Symbolvertreter, dies sind das „Rehauer Kartoffelweibla“ und der „Rehauer Knerz“.
Brauchtum und Identität im ländlichen Raum ist immer verbunden mit Geschichte und Geschichten. Dabei wird Identität oft transportiert über Bilder, Personen, die Mundart, Begebenheiten und Zuschreibungen, die sich um die Landschaft oder Gesellschaft drehen, oft auch beides. Mit Rehau verbindet man traditionell z. B. den Kartoffelanbau im Ortsteil Pilgramsreuth oder die Holzwirtschaft und der damit verbundenen Flößerei im Städtchen Rehau selbst.
Traditionshintergrund zum Kartoffelweibla
Pfarrer Mathäus Keppel, damals zuständig für Pilgramsreuth, brachte Ende des siebzehnten Jahrhunderts den Stein, bzw. die Geschichte der Kartoffel ins Rollen. Der Pfarrer klagte 1696 den üblichen Zehnt (10% übliche Steuer auf die Ernteerträge) schriftlich ein, den er auch für Getreide erhielt. Es wurden immer mehr Kartoffeln und weniger Getreide angebaut und so wurden die Einnahmen immer weniger. Da in den bisherigen schriftlichen Vereinbarungen nur eine Abgabe für Getreide vorgesehen war, weigerten sich die Bauern standhaft zu zahlen. Erst durch die Vernehmung der ansässigen Bauern stellte sich heraus, dass Kartoffeln bereits 1647 aus dem benachbarten, heute tschechischen Roßbach von einem niederländischen Offizier eingeführt wurden. Dies wurde durch das Protokoll festgehalten. So wurde der frühe, feldmäßige Anbau in Pilgramsreuth 1647 erst fünfzig Jahre später durch die Klage des Pfarrers aktenkundig. Das Kartoffeldenkmal mit einem Kartoffelbauer mit seinem Kartoffelweibla am Kirchplatz in Pilgramsreuth erinnert daran.
Später bekämpfte der Klerus den Anbau der Kartoffel, da sie „sexuell höllisch erregend“ sei. So erntete das Kartoffelweibla sicher stets mit verschmitztem Schelm im Nacken diese Ärpfl.
Karge Böden, raue Klimaverhältnisse ähnlich wie in der südamerikanischen Gebirgsregion ließen diese Erdfrüchte schließlich auch in den Gärten der Bürger gut gedeihen und waren von einem gesunden Speiseplan bis heute nicht mehr wegdenken.
Die Stadt Rehau verleiht noch heute an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens „Die goldene Kartoffel“. Erdärpfl haben also eine lange Tradition und somit auch das Kartoffelweibla, das fleißig, gescheit, schelmisch und ein guter Geist sein soll.
Traditionshintergrund zum Knerz
Die Rehauer mit ihren weiten Wäldern rund um die Gemarkung sind seit jeher bekannt für ihre im weiten Umkreis geflößten Schleißknipfel. Viel Wald, viel Holz und viel Arbeit ergeben einen guten Ertrag, wenn die Schleißen zur Kundschaft kommen. Die geschlagenen Bäume werden zerkleinert in kleinere und größere Schleißen, also Holzteile, die über Löwitz und Höllbach vereint im Mühlbach in Rehau und im Perlenbach dann über die Schwesnitz nach Wurlitz über Oberkotzau über die Saale nach Hof geflößt wurden. Hof war immer erfreut, wenn die Schleißknipfel an der Stadtgrenze eintrafen. Sie riefen: „Rehauer Schleißknipfel sänn do“. Mit der Zeit wurde der Begriff personifiziert und die Rehauer heißen im Volksmund noch heute die „Schleißknipfel“. Eine typische Figur war deshalb der Holzknecht, der die Arbeit verrichtete. Den Namen „Knerz“ fanden wir für unsere männliche Holzmaskenfigur sehr passend. Sehr stark, knorrig, urwüchsig, und fleißig sollte sie sein. Umgangssprachlich nennt man hier eine Verwachsung im Holz „Knerz“. Darunter fallen auch Auswüchse vom Holz, Maserknollen, Krummholz und Wurzelholz, womit wir auch einen Bezug zu unserem Narrenbaum setzen konnten. Er reckt sein Wurzelwerk stolz vom 11.11. bis zum Aschermittwoch gen Himmel und zeigt, wer jetzt das Sagen in der Stadt hat.
In früheren Jahren gab es einmal ein Café „Knerz“ und das Logo der Rehauer Werbegemeinschaft war eine gezeichnete Schleißknipfelfigur, der durch einen Wettbewerb den Namen „Knerz“ erhielt. Somit hat auch dieser Name seine vielfältige Tradition in Rehau.
Die beiden historischen Figuren waren die Initialzündung für die Brauchtumsgruppe der FastNachtsFreunde des TV Rehau. Durchaus beeinflusst durch die Lauinger Hexen, zu denen wir seit Jahrzehnten engen Kontakt haben. Analog interpretierten und entwickelten wir aus unserer Geschichte, aus unserem Brauchtum die Figuren. Und alles fing klein an, mit viel Recherchen im Stadtarchiv und Zusammentragen der verschiedensten Ausführungsideen.
Das erste Kartoffelweibla und der erste Holzknecht, der Knerz, waren die Keimzelle für die Brauchtumsgruppe der FastNachtsFreunde des TV Rehau. Um dieses erste Paar, fanden sich bald andere die diese Gruppe unterstützten und zahlenmäßig aufwerteten. Allerdings nur im kleinen Rahmen, denn selbstgenähtes Häs und handgeschnitzte Maske sind nicht billig und lassen sich auch nicht im Handel bestellen, sondern sind immer individuell kreierte Unikate.
Als Glücksfall für die FastNachtsFeunde des TV Rehau entpuppte sich dabei eine Fördermöglichkeit über ein Regionalbudget, das vom Amt für Ländliche Entwicklung (existiert in jedem Bundesland und in jedem Regierungsbezirk) über sogenannte ILE (Integrierte Ländliche Entwicklung) Zusammenschlüsse von Städten und Gemeinden im ländlichen Raum ausgeschüttet wird. Hier können größere und kleine Projekte bis zu einer Summe von 20.000 € gefördert werden, die den ländlichen Raum beleben. Und Brauchtum ist zweifelsohne förderfähig. Das fällt in diesem Fall unter den Begriff des bürgerschaftlichen Engagements.
Allerdings sind die Mittel begrenzt, es wird nicht alles gefördert und so mancher Stein musste aus dem Weg geräumt werden. Bei uns war die mögliche Fördersumme 100.000 € für den ILE Zusammenschluss, wobei ein Projekt mit maximal 20.000 € gefördert werden konnte. Da es eine Reihe von Bewerbern um die Mittel gab, mussten Anträge geschrieben und viel erklärt werden. In der Summe war somit viel Verwaltungsarbeit notwendig.
Aber es hat sich gelohnt! Insgesamt konnten die FastNachtsFreunde etwas über 2.840 €, das waren 80% der Nettokosten, an Förderung für ihre Hästräger verwenden und so die Gruppe der „Rehauer Holzköpf“ auf 10 Hästräger ausweiten. Zusätzlich war das Amt für ländliche Entwicklung in Oberfranken so begeistert, dass wir ausgewählt wurden, unser Projekt innerhalb einer Broschüre deutschlandweit darzustellen.
Jörg Dietrich, 1.Vorsitzender des TV Rehau, Knerz Nr. 2
Edith Franz, FastNachtsFreunde Rehau, erstes Kartoffelweibla
Oliver Baumgärtel, FastNachtsFreunde Rehau, erster Knerz
Wir danken für die Hilfe bei der Recherche:
Oliver Groll, Leiter der Bibliothek und des Stadtarchivs von Rehau (2022)
Jörg Mocker, Zeichner der Holzscheitfigur des Knerz als Logo der Werbegemeinschaft Rehau (1984)
Quellen:
Hranice und Rehau, Die Wege des feldmäßigen Kartoffelanbaus (Stadt Rehau, Stand 03.2011)
Angermann, Allerlei Sachen, Gedicht Rehauer Schleißknipfel, S.36/37